Berlin / Herne. [stbs] Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main vom 12.07.2021 (Az.: 29 U 234/19) beleuchtet die Haftungsfragen von Fachplanern im Kontext der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI), insbesondere bei der Nichtbeauftragung der Leistungsphase 1 (Grundlagenermittlung).
„Wird ein Fachplaner nicht mit der Grundlagenermittlung beauftragt, ist er nicht zur emissionsschutzrechtlichen Planung in Bezug auf die umgebende Bebauung verpflichtet.“
SACHVERHALT
Im vorliegenden Fall beauftragte eine Stadt einen TGA-Fachplaner mit der Planung der Wärmeversorgungsanlage im Rahmen der Sanierung eines städtischen Freibades. Die Ausschreibung, die als abschließend bezeichnet wurde, enthielt keine Hinweise auf ein angrenzendes reines Wohngebiet. Zudem wurde die Leistungsphase 1 gem. HOAI ausdrücklich nicht beauftragt. Der Fachplaner entwickelte daraufhin eine Heizungsanlage, deren Emissionsschallwerte den Anforderungen der meisten Nutzungsgebiete nach der Baunutzungsverordnung entsprachen, jedoch nicht den strengeren Vorgaben für reine Wohngebiete. Nach Fertigstellung machte die Stadt Nachrüstungskosten geltend, um die Schallschutzwerte an die Anforderungen des angrenzenden Wohngebietes anzupassen.
ENTSCHEIDUNG DES GERICHTS
Sowohl das Landgericht als auch das OLG Frankfurt wiesen die Klage der Stadt ab. Das OLG führte aus, dass der Fachplaner nicht zur emissionsschutzrechtlichen Planung in Bezug auf die umliegende Bebauung verpflichtet war, da ihm die Leistungsphase 1 nicht übertragen wurde und ihm die Tatsache des angrenzenden reinen Wohngebietes nicht mitgeteilt wurde. Ohne die Beauftragung der Grundlagenermittlung hatte der Ingenieur keinen Anlass, weitere Erkundigungen oder Prüfungen hinsichtlich der Schallemissionen der Anlage vorzunehmen.
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
Die HOAI definiert in § 3 Abs. 2 die Leistungsphasen 1 bis 9, wobei die Leistungsphase 1 die Grundlagenermittlung umfasst. Diese Phase dient der Klärung der Aufgabenstellung, der Analyse der Grundlagen und der Abstimmung der Zielvorstellungen des Auftraggebers. Wird diese Phase nicht beauftragt, entfällt für den Planer die Pflicht, bestimmte grundlegende Ermittlungen vorzunehmen. Das Gericht stellte klar, dass die Nichtbeauftragung der Leistungsphase 1 ein erhebliches Mitverschulden des Auftraggebers gem. § 254 BGB darstellt, welches die Haftung des Ingenieurs ausschließt.
AUSWIRKUNGEN AUF DIE PRAXIS
Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer vollständigen und klaren Beauftragung der Leistungsphasen nach HOAI. Insbesondere die Grundlagenermittlung ist essenziell, um Planungsfehler zu vermeiden und Haftungsrisiken zu minimieren. Auftraggeber sollten sicherstellen, dass alle relevanten Informationen, insbesondere über die Umgebung des Bauvorhabens, dem Planer zur Verfügung gestellt werden. Planer wiederum sollten auf die vollständige Beauftragung aller notwendigen Leistungsphasen achten und bei fehlenden Informationen Rückfragen stellen, um ihre Haftung auszuschließen.
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