Berlin / Herne / Karlsruhe. [stbs] Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 16.07.2021 (Az.: V ZR 119/20) wegweisende Grundsätze zur rechtlichen Einordnung bildlicher Darstellungen von Bebauungsmöglichkeiten im Kontext von Immobilienkäufen geschaffen. Die Entscheidung definiert den rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen solche Visualisierungen als öffentliche Äußerungen im Sinne von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB einzuordnen sind, und klärt ihre Bedeutung für die Sollbeschaffenheit eines Kaufobjekts.

SACHVERHALT DES URTEILS

Dem Urteil lag ein Rechtsstreit zwischen den Parteien eines Grundstückskaufvertrags zugrunde, der seit dem Jahr 2017 geführt wurde. Streitgegenstand war die Frage, ob eine im Rahmen der Verkaufsverhandlungen präsentierte Computersimulation der Bebauungsmöglichkeit des Grundstücks verbindlichen Charakter im Sinne der Sollbeschaffenheit gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB hat. Hintergrund war, dass sich nach Abschluss des Kaufvertrags herausstellte, dass das Grundstück nicht wie in der Simulation dargestellt bebaut werden konnte. Der Käufer machte Schadensersatzansprüche geltend.

Symbolbild; CAD

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RECHTSGRUNDLAGE: SOLLBESCHAFFENHEIT GEM. § 434 ABS. 1 S. 3 BGB

Gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB umfasst die Sollbeschaffenheit eines Kaufgegenstands auch Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers erwarten darf. Zu diesen Äußerungen zählen insbesondere Angaben in Exposés, Verkaufsunterlagen und ähnlichen Veröffentlichungen. Der BGH stellte nun klar, dass auch bildliche Darstellungen, wie etwa Computersimulationen, in diesen Bereich fallen.

KERNAUSSAGEN DES URTEILS

Der BGH argumentierte, dass bildliche Darstellungen, die öffentlich geäußert werden, eine erhebliche Erwartungshaltung bei potenziellen Käufern hervorrufen. Im konkreten Fall war die Visualisierung der Bebauungsmöglichkeit wesentlicher Bestandteil der Verkaufsunterlagen und Grundlage der Kaufentscheidung. Der Käufer durfte deshalb davon ausgehen, dass die dargestellten Möglichkeiten realisierbar sind.

Die Richter betonten, dass diese Erwartungshaltung bei der Beurteilung der Sollbeschaffenheit zu berücksichtigen sei. Eine abweichende Beschaffenheit des Kaufobjekts, die den dargestellten Möglichkeiten widerspricht, begründe daher einen Sachmangel gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB.

AUSWIRKUNGEN AUF DIE PRAXIS

Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen für die Praxis des Immobilienverkaufs:

Verpflichtung zu Exaktheit

Makler, Projektentwickler und Verkäufer sind gehalten, Visualisierungen von Bebauungsmöglichkeiten mit größter Sorgfalt zu erstellen. Fehlerhafte oder übertrieben optimistische Darstellungen können Schadensersatzansprüche nach sich ziehen.

Rückgriff auf Fachgutachten

Um rechtliche Risiken zu minimieren, sollten Verkäufer technische und rechtliche Gutachten einholen, die die Realisierbarkeit der dargestellten Bebauungsmöglichkeiten bestätigen.

Erhöhte Transparenz

Angesichts der Entscheidung wird die Bedeutung einer umfassenden und transparenten Information der Käufer gestärkt. Zweifel oder Einschränkungen in der Bebauungsmöglichkeit sollten explizit offengelegt werden.

Weiterführende Überlegungen

Die Entscheidung des BGH schafft nicht nur Klarheit für Käufer und Verkäufer, sondern wirft auch weiterführende Fragen auf. So stellt sich die Frage, inwieweit öffentliche Planungsdokumente, wie Ratsvorlagen oder Bebauungspläne, rechtlich bindend sind und welche Anforderungen an deren Genauigkeit gestellt werden.

Zudem könnten Auswirkungen auf die Haftung von Architekten und Stadtplanern entstehen, insbesondere wenn deren Darstellungen in öffentlichen Dokumenten nicht mit den baurechtlichen Gegebenheiten übereinstimmen.

Das Urteil des BGH stärkt die Position von Immobilienkäufern und erhöht die Anforderungen an die Genauigkeit von Visualisierungen und anderen öffentlichen Äußerungen im Immobilienbereich. Es liegt nun an Verkäufern und Planungsverantwortlichen, dieser Rechtsprechung Rechnung zu tragen und durch größere Transparenz sowie technische und juristische Prüfungen potenzielle Haftungsrisiken zu minimieren.

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