Berlin / Herne. [stbs] Der rechtliche Rahmen für Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans sowie von den Anforderungen der Bauordnung ist in § 31 BauGB und § 69 BauO NRW 2018 (für Nordrhein-Westfalen, andere Bundesländer abweichend) geregelt. Diese Regelungen dienen dazu, im Einzelfall flexible Lösungen zu ermöglichen, ohne die Grundzüge der Planung oder die öffentlichen Belange zu beeinträchtigen. Nachfolgend werden die rechtlichen Grundlagen und deren Anwendung dargestellt.

AUSNAHMEN GEM. § 31 ABS. 1 BAUGB

Gem. § 31 Abs. 1 BauGB können Ausnahmen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans zugelassen werden, sofern diese Ausnahmen im Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind. Dies bedeutet, dass der Bebauungsplan selbst konkrete Ausnahmen definieren muss, die dann durch die zuständige Behörde gewährt werden können. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Ausnahmen planungsrechtlich vorhersehbar bleiben und im Rahmen der bestehenden Planungssystematik erfolgen.

BEFREIUNGEN GEM. § 31 Abs. 2 BAUGB

Darüber hinaus erlaubt § 31 Abs. 2 BauGB Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans unter bestimmten Bedingungen. Eine Befreiung kann erteilt werden, wenn:

die Durchführung des Bebauungsplans im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde,

die Abweichung vom Bebauungsplan städtebaulich vertretbar ist und

die Grundzüge der Planung nicht berührt werden.

Diese Regelung ermöglicht es, besondere Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, ohne die städtebaulichen Zielsetzungen grundsätzlich zu gefährden.

BEFREIUNGEN VON DER BAUNUTZUNGSVERORDNUNG (BAUNVO)

Die Befreiungsregelungen des § 31 BauGB gelten auch für die Festsetzungen der Baunutzungsverordnung (BauNVO), wenn diese Bestandteil des Bebauungsplans sind. Dies bedeutet, dass von den Bestimmungen der Baunutzungsverordnung ebenfalls abgewichen werden kann, sofern die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Die städtebauliche Vertretbarkeit und die Unberührtheit der Grundzüge der Planung stehen auch hierbei im Mittelpunkt der Prüfung.

ABWEICHUNGEN GEM. § 69 BAUO NRW 2018

Neben den Regelungen des BauGB bietet die Bauordnung NRW in § 69 die Möglichkeit, Abweichungen von den Anforderungen der Bauordnung und den aufgrund dieser erlassenen Vorschriften zuzulassen. Die Zulassung von Abweichungen erfolgt durch die Bauaufsichtsbehörde und setzt voraus, dass:

die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist und

die Anforderungen der Bauordnung unter Würdigung des Zwecks der jeweiligen Vorschrift nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt werden.

Insbesondere können Abweichungen zugelassen werden, um den Ausbau erneuerbarer Energien oder andere klimaschutzrelevante Projekte zu erleichtern. Die Verfahren zur Zulassung solcher Abweichungen erfordern einen Antrag bei der zuständigen Bauaufsichtsbehörde. Nach Eingang eines vollständigen Antrags ist darüber innerhalb einer Frist von sechs Wochen zu entscheiden.

Symbolbild; Bauverwaltung

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SACHVERSTÄNDIGE BESCHEINIGUNGEN GEM. § 69 BAUO NRW 2018

Eine Besonderheit (in Nordrhein-Westfalen) der BauO NRW 2018 liegt darin, dass Abweichungen in bestimmten Fällen auch ohne behördliche Genehmigung zulässig sind. Voraussetzung ist, dass sachverständige Personen nach § 87 Abs. 2 BauO NRW 2018 bescheinigen, dass das Vorhaben den Anforderungen an den Brandschutz oder andere relevante Vorschriften genügt.

RELEVANTE RECHTSPRECHUNG

Die Anwendung der vorgenannten Vorschriften wird durch aktuelle Urteile konkretisiert:

Das Verwaltungsgericht Würzburg entschied am 25.08.2020 (Az.: W 4 K 20.1116), dass eine Befreiung nicht erteilt werden kann, wenn dadurch die Grundzüge der Planung berührt werden. Der Antrag auf Befreiung wurde abgelehnt, da das Vorhaben den planerischen Grundkonzeptionen widersprach.

Das Bundesverwaltungsgericht befasste sich am 24.04.2024 (Az.: 4 C 2/23) mit der Frage der Funktionslosigkeit einer Festsetzung zur Geschossflächenzahl (GFZ) und betonte, dass eine Befreiung unzulässig ist, wenn die Grundzüge der Planung beeinträchtigt werden.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen entschied am 07.03. 2024 (Az.: 10 A 2791/21), dass eine Abweichung nach § 69 BauO NRW 2018 nicht nur auf die Schaffung neuen Wohnraums beschränkt ist. Eine Abweichung für den Ausbau einer bestehenden Wohnung wurde zugelassen, da die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt waren.

CONCLUSIO

Die Regelungen über Ausnahmen, Befreiungen und Abweichungen bieten flexible Instrumente, um besonderen Einzelfällen gerecht zu werden. Sowohl § 31 BauGB als auch § 69 BauO NRW 2018 verlangen jedoch eine sorgfältige Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen sowie die Berücksichtigung städtebaulicher und rechtlicher Vorgaben. In jedem Fall ist sicherzustellen, dass die Genehmigung solcher Abweichungen nur im Rahmen eines ordentlichen Baugenehmigungsverfahrens erfolgt und die Grundzüge der Planung sowie die öffentlichen Belange gewahrt bleiben.

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